Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Das erste Mal...
#1
Liebe Freunde,
als meinen 4000. Beitrag im Forum möchte ich Euch etwas Besonderes bieten. Im Hinblick auf die vielen schönen Geschichten, die hier geschrieben worden sind, und die nicht nur stets sehr lesenswert sind, sondern auch, egal ob sie nun erfunden sind oder tatsächlich stattgefunden haben, teilweise sehr persönliche und intime Einblicke in das Seelenleben des jeweiligen Verfassers geben, habe ich mich auch hingesetzt und eine Geschichte verfasst. Sie ist ziemlich lang geworden, ich hoffe, das stört Euch nicht, aber ich wollte sie möglichst detailgetreu erzählen und da fällt das Ergebnis meist länger aus als geplant. Ich hoffe, Euch gefällt die Geschichte und ich bekomme kein "Thema verfehlt" dafür. Grinning-face Viel Spaß beim Lesen.
Euer Marc

Mit einem lauten Klack rastete der uralte Drehlichtschalter ein und eine trübe Funzel erhellte den Dachboden. Wie oft war er schon hier oben gewesen, schon als Kind hatte ihn das viele Gerümpel, welches hier oben gelagert wurde, fasziniert. Hier gab es immer etwas zu entdecken, alte Fotos, Bücher, Möbelstücke, Bilderrahmen. Seine Eltern stammten noch aus einer Generation, die selten etwas wegwarf, nur weil es alt oder nicht mehr zeitgemäß war. Es könnte ja noch einmal gebraucht werden, also kam es auf den Dachboden.
Seine Eltern erlaubten es ihm, auf dem Dachboden zu stöbern, denn es gab sicherlich gefährlichere Plätze, auf denen ein Dreizehnjähriger sich herumtreiben konnte. Vieles hatte er hier schon entdeckt in den letzten Jahren. Schöne Erinnerungsstücke, alte Dinge, die zum Spielen oder zum Sammeln anregten oder alte Zeitschriften, in denen er sich vertiefen konnte. Doch seit einigen Wochen oder Monaten hatte es ihm ein ganz bestimmter Gegenstand ganz besonders angetan. Es handelte sich um einen kleinen, braunen Pappkoffer, der offensichtlich noch aus der Zeit stammte, als seine Eltern jung verheiratet waren und mit dem Motorrad und dem grauen Zwei-Mann-Zelt, welches ebenfalls in einer Ecke des Dachbodens vor sich hinmoderte, kreuz und quer durch Deutschland gefahren waren, ob ins Allgäu oder den Schwarzwald, an die Mosel oder in die Lüneburger Heide. Die alten Fotos und Postkarten von diesen Reisen hatte er schon häufig betrachtet.
Doch was ihm an dem Koffer faszinierte, war weniger sein Wert als Erinnerungsstück aus dieser vergangenen Zeit als vielmehr sein Inhalt. Dieser war längst nicht so alt wie der Koffer selbst, aber auch er erzählte von einer anderen Zeit. Seine Schwester hatte sie vor zwei oder drei Jahren dort hineingetan, seine einige Jahre ältere Schwester, die bereits studierte und deswegen nur noch selten zuhause war. Da zur Universität nur wenige Kilometer zurückzulegen waren, wohnte sie zwar noch bei ihren Eltern, aber so richtig oft war sie hier nicht mehr anzutreffen. Und natürlich hatte sie schon längst ganz andere Interessen als die hier. Irgendwann hatte er sie in diesem Koffer entdeckt. Blonde, braunhaarige, schwarzhaarige, kleine, große, fast neuwertige und stark bespielte. Barbies.

Über zwanzig hatte er gezählt, über zwanzig Barbiepuppen hatte seine Schwester in ihrer Kindheit besessen und irgendwann, als sie älter wurde, in den alten Koffer gepackt. Dazu unzählige winzige Kleidungsstücke im Stil der 70er Jahre, gekaufte mit dem Barbie-Zeichen, aber auch von ihrer Mutter selber genähte sowie etliche Paar kleine Schuhe, Handtaschen, Hüte und sonstiges Zubehör. Er wusste nicht warum, aber der Inhalt dieses Koffers zog ihn magisch an. Immer, wenn er auf den Dachboden ging, führte ihn sein erster Weg zu dem Barbiekoffer. Er schaute die Puppen an, er nahm sie in die Hand, streichelte ihnen über die kleinen Körper, zog sie an, zog sie aus. Manchmal irritierte es ihn, dass ihm das so viel Spaß machte. Barbies waren doch etwas für Mädchen. Und er war doch kein Mädchen! Er wollte doch auch keines sein, oder doch? Nein, absolut nicht. Und dennoch faszinierten ihn die kleinen Puppen und ihre Welt.
Ganz besonders angetan hatte es ihm eine bestimmte Barbie. Hübsch waren die meisten, auch wenn es einige eher bemitleidenswerte Exemplare darunter hatte, mit aufgemalten Haaren oder harten Borsten anstatt der seidigen, langen, weichen Haare, die er so liebte, auch wenn seine Schwester einigen von ihnen schon vor Jahren mit der Schere auf den Pelz gerückt und ihnen schicke Kurzhaarfrisuren verpasst hatte. Die allerschönste, so fand er, war aber eine kleine, schlanke Puppe mit langen, blonden Haaren. Sie hatte die gleichen Rundungen wie die anderen Barbies, war aber deutlich kleiner und sehr schlank. Sie mochte er am allerliebsten und sie war es auch, die er meistens als erste in die Hand nahm, nachdem er den magischen Koffer geöffnet hatte. Er hatte sie sogar schon mal geküsst, aber das durfte natürlich niemand erfahren. Es wusste ja auch niemand, dass er mit Barbies spielte. Die Mädchen in seiner Klasse taten ja schon soooo erwachsen, aber er glaubte, dass viele von ihnen bestimmt auch noch mit ihren Barbies spielten, wenn keine ihrer Freundinnen dabei war.
Natürlich hatte er auch andere Hobbies, die einem Jungen eher zuträglich waren. Manchmal spielte er mit den Jungs Fußball, auch wenn er nicht besonders talentiert dazu war. Sie spielten mit Matchbox-Autos, davon hatte er auch jede Menge, er tauschte Fußball-Sammelbilder mit seinen Freunden und sie nahmen zusammen Cassetten mit Musik aus dem Radio auf und tauschten diese untereinander. Die Neue Deutsche Welle rollte gerade durchs Land und aus England kamen Bands wie Culture Club, Madness oder Duran Duran. Manchmal fragte ihn auch ein Mädchen, ob er ihr ihre Lieblingslieder überspielen würde, was er natürlich gerne tat.
Ein anderes „Hobby“, welches von seinen Eltern nicht sehr gerne gesehen wurde, war das Zündeln mit Feuer. Viele Jungs spielten gerne mit Feuer, so auch er. Wie die Flammen Besitz von einem Gegenstand ergriffen und ihn je nach Material in ein Häuflein Asche, einen zähen, schwarzen Klumpen oder ein ausgeglühtes Metallstück verwandelten, das faszinierte ihn. Schon einige Spielzeugautos, Figuren, Dinge aus Papier oder Plastik waren von ihm angezündet worden und wenn er der Verbrennung zusah, kribbelte es in seinem Bauch, fast genauso wie wenn er sich mit den Barbies seiner Schwester befasste.
Zündeln konnte er natürlich nur, wenn seine Eltern nicht da waren. Und das waren sie an diesem Nachmittag. Sie waren zu Verwandten gefahren, also waren sie ein paar Stunden außer Haus. Und diese Gelegenheit nutzte er, um ein paar Dinge zu verbrennen. Zum Glück war der große Garten nicht leicht einsehbar und außerdem verbrannte er ja nur kleine Dinge aus seinen Spielzeugkisten. Allerdings hatte er schon vor einiger Zeit Gefallen daran gefunden, einige der kleinen Barbieschuhe und der hübschen Puppenkleidung aus dem Koffer seiner Schwester zu nehmen, um sie im Garten anzuzünden. Sie würde es bestimmt nicht merken, erstens hatte sie so viel davon und zweitens spielte sie sowieso nicht mehr mit den Barbiepuppen. So hatte er auch diesmal ein paar Kleidchen, Röcke und Blusen aus dem Koffer genommen, um sie zu verbrennen. Aufgeregt nahm er die der Vernichtung geweihten Sachen und ein Feuerzeug mit in den Garten.
Mitgenommen hatte er diesmal fatalerweise auch seine kleine Lieblingspuppe. Nackt war sie, was ihm sehr gefiel, denn sie hatte schöne Formen. Aber diesmal sollte sie nicht nur zusehen, wie ihre Kleider verbrannten, er hatte eine andere Idee. Schon manches Mal hatte ihm das Feuer einen Streich gespielt, es hatte nicht so gebrannt, wie er es gehofft hatte, mal waren die Flammen zu hoch geworden, mal hatte etwas gar nicht brennen wollen und er hatte mit Feuerzeugbenzin nachhelfen müssen. Einen alten Siku-Postwagen hatte er erst vor einigen Wochen auf diese Art verbrannt. Wie er auf die Idee gekommen war, wusste er hinterher nicht mehr, aber er hatte halt ein bisschen experimentieren wollen. Eine süße kleine Jacke hatte er ihr angezogen, seiner Lieblingsbarbie und sie in einen alten Blumentopf hineingestellt. Und nun entzündete er das Feuerzeug und hielt die Flamme an den unteren Saum der Barbiejacke. Im Nu stand das Jäckchen in Flammen, es musste wohl irgendeine leicht brennbare Kunstfaser sein, aus der es gefertigt worden war. Zwei, drei Sekunden verfolgte er fasziniert, wie der dünne, seidige Stoff wegschmolz und die Flammen höher stiegen. Und dann war es schon passiert. Der Schreck, den er bekam, war nicht ohne. Sein blonder Engel stand plötzlich in hellen Flammen! Schon brannten die langen Puppenhaare lichterloh und schwarzer Rauch stieg von der Feuerstelle auf. Blitzschnell riss er die Barbie aus dem Blumentopf, rannte wenige Meter mit dem brennenden Püppchen in der Hand und warf es in die gefüllte Regentonne, die im Garten stand. Zischend und brutzelnd verlöschten die Flammen und die Puppe sank auf den Boden der Regentonne. Er war verzweifelt und den Tränen nahe. Was hatte er nur gemacht? Das hatte er nicht gewollt. Er beugte sich über die Regentonne und griff hinein. Sein Arm und sein T-Shirt wurden klitschnass, aber das störte ihn nicht. Er bekam die Barbie zu fassen und holte sie aus dem Wasser und schaute sie an. Ein Bild des Jammers. Die seidigen, blonden Haare waren halb verbrannt und verklumpt, das süße Gesicht war zur Hälfte pechschwarz und der schöne, schlanke Puppenkörper hatte sich in der Hitze verformt. Dazu hingen die verkohlten Reste der Jacke an der triefend nassen Gestalt herab.
Er war wütend auf sich selbst und ärgerte sich maßlos, so blöd gewesen zu sein. Wie konnte er nur glauben, die Jacke würde verbrennen, ohne die Puppe zu beschädigen? Warum hatte er nicht nachgedacht? Er war so aufgeregt gewesen und es war ein schönes Gefühl, dem er nachgegeben hatte, also konnte es nicht falsch sein. Aber als er jetzt das Objekt seiner Begierde so angekokelt vor sich liegen sah, empfand er Trauer und Wut. Und noch ein Gefühl stieg in ihm auf: Panik! Was sollte er nun mit dem halb verkohlten Geschöpf machen? Egal was er bisher mit den Barbies angestellt hatte, er hatte sie immer wieder zurück in den Koffer gelegt. Die Klamotten, die er verbrannt hatte, waren immer restlos weggebrannt und bei den vielen Kleidungsstücken fielen die paar fehlenden nicht auf. Aber eine halbverkohlte Barbie zurück in den Koffer zu legen, das war unmöglich. Auch wenn niemand mehr mit den Barbies spielte (außer ihm natürlich), irgendwann hätten seine Schwester oder seine Eltern mal hineingeschaut, vielleicht um den jüngeren Cousinen etwas aus dem Koffer zu schenken, und dann wäre es aufgefallen. Und auf wen wäre natürlich der Verdacht gefallen? Wer trieb sich ständig auf dem Dachboden herum? Na eben.
Das Brandopfer musste also weg. Eine fehlende Barbie war besser als eine verkohlte. Sollte mal irgendwann genau diese Puppe vermisst werden, so konnte er einfach behaupten, er wisse von nichts. Vielleicht hätte seine Schwester sie ja verschenkt. Also in die Mülltonne damit…HAAAALT! Wenn die Eltern wiederkämen, würden sie bestimmt dort hineinschauen beim Hinunterbringen des Mülleimers. Also was dann? Ihm kam eine Idee…
Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er ging ins Badezimmer und holte die kleine Blechflasche mit dem aufgedruckten Tiger aus dem Spiegelschrank, die ihm schon manchmal bei der feurigen Entsorgung hartnäckiger Spielsachen geholfen hatte. Reinigungsbenzin. Vorsicht feuergefährlich.
Sorgfältig trocknete er seine ehemalige Lieblingsspielgefährtin ab und setzte sie wieder in den alten Blumentopf hinein. Zum letzten Mal streichelte er ihr über die halbverkohlten Haare und den rußverfärbten Körper. Und dann gab er sich einen Ruck. Einige Spritzer Benzin auf den geschundenen Puppenkörper reichten, dann klickte das Feuerzeug.
Als seine Lieblingspuppe nun in hellen Flammen stand, als er zusehen musste, wie ihre langen blonden Haare von den Flammen verzehrt wurden, sich ihr süßes Gesicht in einer schwarzen Rauchwolke auflöste und der kleine Körper zu einer klebrigen, stinkenden Masse zusammenschmolz, da hatte er einen Kloß im Hals. Am liebsten hätte er angefangen zu heulen. Aber das tut ein Junge ja nicht.
Und dann war da noch etwas. Das Gefühl kannte er schon. Er hatte es zum Beispiel, wenn er auf dem Schulhof ein bestimmtes Mädchen sah oder wenn er in einer Zeitschrift irgendwo eine nackte Frau erblickte, da hatte er dieses Ziehen im Unterleib. Aber nun stand er hier und sah seiner Lieblingsbarbie beim Verbrennen zu und hatte das gleiche Gefühl. Er schaute an sich herunter und bemerkte die riesige Beule in seiner Hose. Ganz verstanden hatte er zu dieser Zeit noch nicht, warum ihn das so sehr erregte, aber er merkte, dass hier gerade etwas Besonderes passiert war. Noch war er sich der Tatsache nicht bewusst, aber später, viel später, sollte ihm klar werden, dass hier und heute der Grundstein gelegt worden war. Der Grundstein zu einer Leidenschaft, die ihn nicht wieder loslassen sollte. Bis heute.

P.S.: Bis er erfahren sollte, dass er an diesem Tag eine seltene Skipper aus den frühen 70er Jahren verbrannt hatte, sollte noch mehr als ein Vierteljahrhundert vergehen. Und das war der Verdienst einer Erfindung, an die damals, an dem Tag, als seine Lieblingspuppe in den Flammen starb, noch nicht zu denken gewesen war…das Internet und dort ganz besonders ein bestimmtes Forum…
Zitieren
#2
Hallo Marc !

Absolut faszinierende Geschichte, vielen Dank dafür !
Mit derart oder ähnlich prägenden Erlebnissen wird sich wohl jeder Feti gut identifizieren können.
Interessant finde ich immer den Moment, an dem man feststellt, das einen bestimmte Dinge "anmachen".
Vieles in der Geschichte kann ich gut nachvollziehen. In jugendlichem Übereifer habe ich auch einige Lieblingsstücke und Raritäten vernichtet. Heute darf ich gar nicht dran denken, da krieg ich jetzt noch das große heulen !

Die Person Deiner Geschichte hat nicht zufällig Ähnlichkeit mit lebenden Personen ? Face-with-tears-of-joy

Liebe Grüße Dime
Zitieren
#3
Die Geschichte ist faszinierend Grinning-face - es gibt da durchaus Parallelen mit meinen frühen Verbrennungen (abgesehen, dass es keine Puppen, sondern Turnschuhe waren), dieses bis dahin unbekannte Ziehen in den unteren Bereichen, die plötzlich zu enge Hose, ohne , dass man recht wusste wieso - all dies hatte ich auch, nur rund 12 Jahre früher (also 1970). Ich habe auch Schuhe verbrannt (in Mengen), wo ich mich heute für in den A.... beissen könnte - die waren damals (1980er) schon sehr ausgefallen und selten, aber sie brannten halt auch hervorragend... Wenn ich heute solche wieder finde, kaufe ich sie und hüte sie wie meinen Augapfel nerd Face-with-tears-of-joy Face-with-tears-of-joy Face-with-tears-of-joy Face-with-tears-of-joy
Ich liebe Stoffturnschuhe!! ... und liebe es auch sie zu verbrennen!!!
Zitieren
#4
Hallo Jungs,

vielen Dank für Eure Meinungen zu meiner Story, es freut mich sehr, dass sie Euch gefällt.
Und natürlich habt Ihr es richtig erkannt, den jugendlichen Hauptdarsteller kennen wir alle... face-flushing

LG,
Marc
Zitieren
#5
Hallo Marc,
deine Geschichte gefällt mir sehr und ich bedaure, selber keine Schwester zu haben.
Wenn ich damals in diesem zarten Alter anläßlich von Besuchen aber in den Zimmern meiner Cousinen übernachten durfte,
galt mein erster Gedanke natürlich immer den Puppenkisten und deren Inhalt... rolling-eyes
LG
vinylpony
Zitieren
#6
vinylpony schrieb:Hallo Marc,
deine Geschichte gefällt mir sehr und ich bedaure, selber keine Schwester zu haben.
Wenn ich damals in diesem zarten Alter anläßlich von Besuchen aber in den Zimmern meiner Cousinen übernachten durfte,
galt mein erster Gedanke natürlich immer den Puppenkisten und deren Inhalt... rolling-eyes
LG
vinylpony

Danke fürs Lob, vinylpony!
Ich hatte mir schon lange vorgenommen, die Geschichte mal niederzuschreiben, aber irgendwie habe ich es immer verschoben.
Zitieren
« Ein Thema zurück | Ein Thema vor »


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste