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Die verherende Wirkung eines Zaepfchens
#1
... haette dieser Beitrag beinahe geheissen, denn am Freitag war bei uns das Angrillen '09, und dazu gehoert nunmal auch ein Flaeschchen Bier. Da ich mir jedoch nicht sonderlich viel aus Bier mache, eignet sich am ehesten so ein kleines "Tannnenzaepfle". Nur dieses Jahr haben wir Maedels uns zur Abwechslung mal in ein grosses Schwarzbier reingeteilt, und deshalb heisst der Beitrag besser "Das Ende der Unschuld", denn lauter weisse, unschuldige Schuehchen spielen darin die (tragischen) Hauptrollen. Und das kam so:

Vor langen Jahren, noch waehrend des Studiums, waren wir zum Wandern in den Alpen. Wirklich nur zum Wandern, was erklaert, dass ich auch nur entsprechende Klamotten dabei hatte. Wie's der Zufall wollte, traf man unverhofft auf Bekannte und verabredete sich, zum , hachja, halt zum Grillen. Lilly hatte sofort romantische Bilder im Kopf von draussen am Lagerfeuer sitzen, Stoecke zurechtschnitzen und damit Wuerste, Brot und Kaese brutzelnd ueber die Flammen zu halten, ein-zwei Flaschen Rotwein herumgehen und zum Schluss deren Glass in der Restglut schmelzen zu lassen, um dann angeheitert zu diskutieren, welchem Prof oder Exfreund die entstehenden Formen wohl am aehnlichsten saehen. Schliesslich schweigend in die verwehende Asche oder, bei hoffentlich passendem Wetter, in die Sterne schauen und die Gedanken treiben lassen. Natuerlich gleich draussen (bzw. im Zelt oder in einer Huette) pennen, um dann viel zu frueh, durchgefroren und mit Schmerzen zu erwachen, aber sofort durch den Blick belohnt zu werden, den die sonnenuebertrahlte Nebeldecke im Tal bietet. Traeumereien eben, die die Wirklichkeit kontrastieren. Denn es stellte sich bald heraus, dass es sich um "Balkongrillen" mit einem kleinen Blechgrill, stinkendem synthetischen Anzuender und zuwenig Kohlen handelte. Zudem waren noch irgendwelche Fremde eingeladen, sodass ich mir auch extra noch was "Gescheites" zum Anziehen besorgen musste. Ich dachte mir, etwas Weisses wuerde meine hoehensonnengegerbte Haut gut hervorheben und so erstand ich fuer diesen einmaligen Anlass extrem billig die weissen Plateaus mit blauen Streifen (s. unten), denn sowas war gerade aus der Mode gekommen und schon mehrfach reduziert worden. Ja, sie waren so billig, dass ich plante, sie danach gleich stehenzulassen/wegzuwerfen - aber mit de facto neuen Schuhen macht man das dann doch nicht. Und so sind sie mit mir zurueckgefahren und zusaetzlich sogar zweimal umgezogen, ohne dass ich sie je nochmals angehabt haette.

[Bild: LOHW43j1.jpg]

... ZEITSPRUNG ...

Tja, nun war ich wieder beim Grillen, nachdem sich natuerlich wieder einmal die Frage gestellt hatte: "Was zieh ich an?". Und als ich da so stand, und die sinkende Sonne leuchtete den Kontrast zwischen der dunklen Bruehe im Bierglas und meinen winterbleichen Fingern, die es streifenartig umschlossen, so richtig gut aus, da hatte ich einen Flashback bzgl. der zuvor geschilderten Geschichte. Hachja, was waren wir damals noch jung. Aber das ist vorbei - nur noch Erinnerung. Es ist an der Zeit, die Traeume von damals zu beerdigen. Oder vielleicht auch nicht. Vorerst koennte man sich ja damit bescheiden, einfach ein paar Schuhe zu beerdigen, denn die wachsen erstaunlicherweise immer wieder nach; da hat man sogar die Qual der Wahl! Das ist dann auch eher etwas, an dem man die trotz allem doch eher "wildfremden" Forumsmitglieder teilhaben lassen kann. Also kramen wir mal ein paar Schuhe hervor: Kriterium: "weiss":

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Alle auf einmal - nein, das waere wohl zuviel des Guten. Aber da ist ja noch die Bierflasche, die doch all dies ausgeloest hat. Dann soll auch sie allein damit zurechtkommen, ueber Leben und Tod zu entscheiden. Ich halt mich da raus (die schoenen Schuhe!) ...

Hm, momentan zeigt sie auf MICH! Das finde ich ja jetzt nicht sooo nett, deshalb bekommt sie erstmal einen Stoss ... eiert im Kreise herum ... wird langsamer ... und entscheidet sich ... entscheidet sich schliesslich fuer ... ja super: will sich lieber nicht festlegen.

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Also nochmal auf Touren gebracht ... ach nein, jetzt eckt sie an und wird aus der Bahn geworfen. Wieder total "vorbeigeschossen".

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Noch'n Versuch. Die Flasche dreht sich. Bin gespannt, wie lange ich das Spielchen noch treiben muss. (Am Ende behaelt die Flasche doch mit ihrer ersten Entscheidung recht, weil ich derweil an Altersschwaeche sterbe.) Moment, traege waelzt sie sich nun auf ihr rutschfestes Ettikett, stockt, und bleibt fast augenblicklich still liegen. So, diesmal ist die Sache wohl eindeutig: meine uralten "Grillies" sind dran!

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Nun, bisher hat niemand ihnen gesagt, worum es eigentlich geht. Deshalb springen sie geradezu froehlich auf und umarmen die Flasche, der sie zuschreiben, nun endlich nicht mehr nur trockene, staubige Dachbodenluft sondern endlich wieder den Duft von frisch gewaschenen Damenfuessen atmen zu duerfen.

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Oh, wie gemein kann das Schicksal doch sein! Noch immer ahnen sie nichts Boeses, wollen einfach nicht die Gefahr sehen, in der sie sich befinden. Vermutlich erwarten sie nun, dass gleich ein feuchter, kuehler Lappen sie vom Staub des letzten Jahrzehnts befreit, sie aus ihrem Dornroeschenschlaf wachkuesst, aber ach, wie kann man sich nur so taeuschen:

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Leise naht das Unheil ...

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... und "Platsch", ergiesst sich ein Schwall siedend heissen Wassers auf die ueberraschten Opfer.

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"Was, wie?", prusten sie, "War nicht immer nur von Grillen die Rede - und nun will man uns ertraenken?!". Aber immerhin, wie an jenem Sommerabend in den Alpen ist es heiss, sehr heiss sogar. Heisser, als ihnen jemals war, und so schwitzen sie tuechtig alle Weichmacher ihrer textilen Unterhaut auf einmal in die Kunstlederoberflaeche, die nun ein perlmuttener Glanz umspielt und die sich unglaublich geschmeidig ihrem Schicksal fuegt.

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Mit jugendlicher Spannkraft zieht sie sich ums Skelett zusammen, platzt teilweise aber auch schon ab. Nach und nach schwindet die ursprungliche Form, gelbbraune Inhaltsstoffe osmotieren nach draussen. Wahrlich kein schoener Anblick mehr. "Wie ungerecht!", denke ich mir, und beisse mir auf die Lippen. Was fuer ein Ende - und eigentlich bin ich mitschuld, denn haette ich die Entscheidung der Flasche zu einem anderen Zeitpunkt akzeptiert, wie gluecklich gelangweilt koennten sie weitere Jahre auf dem Dachboden verbringen, waerend z.B. die "Flachen" vom Anfang an ihrer statt in der Tunke schmorten. Aber die sollten jetzt einfach ungeschoren davonkommen? "Nein!", empoerte sich mein Gerechtigkeitssinn, und schwupps, waren sie "Grillies" nicht mehr allein in ihrer Badewanne.

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Allerdings hatten sie schon einen enormen Vorsprung im Verfallsprozess herausgearbeitet, der erst einmal aufgeholt sein wollte. Keine leichte Aufgabe bei dem inzwischen schon wieder abgekuehlten Wasser. Deshalb wurden alle aufs Trockendock gelegt ...

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... ehe alsbald ein neuer Sud angesetzt war:

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Die Weichmacher waren in die Kanalisation entfleucht, und so erodierte das vormals zarte Kunstleder an allen Ecken und Enden.

[Bild: aUt3LvTR.jpg]

So, ich hoffe, die teilweise recht unappetitliche Geschichte war letztlich doch nach Eurem Geschmack.

Eure "poubelle cuisiniere" Mottenlilly
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