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Abenteuer in Transylvanien
#1
Wenn man im Rumänischen Siebenbürgen einen Spaziergang in der Nähe einer großen Roma Siedlung unternimmt, findet man hin und wieder weggeworfen Schuhe.
Da die Frauen der Siedlung sich gerne schmücken und farbenfroh kleiden, legen sie auch großen Wert auf modisches Schuhwerk, das, wenn es nicht mehr den modischen Vorstellungen entspricht, auch schnell weggeworfen wird.
Daher machen Damenschuhe einen recht hohen Anteil im Müll aus, der nun mal oft in der Landschaft entsorgt wird. An einer Stelle findet man aber eine ganz besondere Ansammlung von weggeworfenen Stiefeletten, Pumps, Sandaletten Balerinas und Sneakern, alle weiblicher Herkunft:

[Bild: ME56W98_t.jpg]

Schauen wir mal genauer hin.
Eine süße Lack Sandalette unter einer Keil Sandalette:

[Bild: ME56WAH_t.jpg]

Ein spitzer, schwarzer Pumps mit Lack Riemchen, eine Animal Print Sandalette:

[Bild: ME56WAY_t.jpg]

Ein süßer, spitzer Pailletten Slingpumps, eine zarte, braune Ballerina, eine Pantolette mit Ledersohlen und weitere vielversprechende Schuhe:

[Bild: ME56WB5_t.jpg]

Ein Leder Holzclog, Flip-flops und andere Pantoletten und Sandaletten:

[Bild: ME56WBJ_t.jpg]

Viele geile und getragene Schuhe, aber was ist das?!?
Oft nur ein Schuhe eines Paares? Sofort beginnt man mit der Suche nach den jeweils zweiten Schuhen!
Aber warum ist der ganze Boden schwarz gefärbt? Da ist ja alles voller Asche!

[Bild: ME56WBM_t.jpg]

Der geübte und entsetzt Blick erkennt in der Asche die Überreste von hunderten verbrannte Damenschuhe!

[Bild: ME56WC4_t.jpg]

Was in aller Welt passiert hier??
Der Blick fällt auf eine Anordnung von Schuhen, teils die fehlenden Einzelschuhe:

[Bild: ME56WDI_t.jpg]

Aber wo kommt denn der Rauch her??

[Bild: ME56WF9_t.jpg]

Und tatsächlich!
Jemand hat das Reisig unter einem der Schuhe angezündet!!

[Bild: ME56WG6_t.jpg]

Jetzt erfasst der Blick die ganze brutale Szenerie.
Die tollen alten Damenschuhe dienen dazu, eine schreckliche Aperatur zur Müllverbrennung anzufeuern!
Auf den verwirrten und erschrocken Blick hin erklärt der alte Mann, der einen die ganze Zeit still beobachter hat, stolz seine Vorrichtung und ihre Verwendung.
Er hat einen alten Boiler an der Seite von unten nach oben schlitzförmig geöffnet, ein längliches Sieb hineingelegt und ihn über einer Bodensenke so platziert, dass der Schlitz nach unten zeigt. Die jetzt nach oben zeigende Seite  hat er ebenfalls, aber größer geöffnet, so dass er den Behälter mit dem Müll und Abfall der Roma Siedlung füllen kann.
Vorher hat er aber fein säuberlich alle Damenschuhe aus dem Müll heraussortiert und einen Teil davon ordentlich auf eine Reisig Schicht unter dem Behälter, genau unter dem Schlitz aufgereiht.
Nun zündet er das Reisig unter der dem Wind zugewandten Seite der Schuh Reihe an, so dass die armen Damenschuhe mit heller Flamme und großer Hitze unter dem Behälter von einer Seite der Reihe zur andern verbrennen und die Flammen ihres Todes ihrerseits die Abfälle im Behälter verbrennen lassen.
Das hat der alte Mann schon hunderte von malen so gemacht und damit unzählige Damenschuhe verfeuert. Er nimmt übrigens fast nur Damenschuhe zum Anfeuern, da sie seiner Erfahrung nach häufig im Müll vorhanden sind, sich gut schichten lassen und mit großer Hitze verbrennen.
Um seine Feuerstelle herum findet sich die Asche von hunderten von Schuhen, gespickt mit ausgeglühten Metallfedern kleinen Schnallen und Verzierungen.

[Bild: ME56WJU_t.jpg]
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#2
Da die "offizielle" Müllentsorgung in den Romagebieten oft nicht funktioniert, was nicht unbedingt an den Roma liegt, hilft man sich auf diese Weise. Dass Schuhe mit entsprechendem Zug sehr gut brennen, wissen wir hier alle. Der/die (?) Gummistiefel im drittletzten Bild dürfte bei "Vollgas" auch zu beträchtlicher Hitze beitragen. Face-with-tears-of-joy Face-with-tears-of-joy
Ich liebe Stoffturnschuhe!! ... und liebe es auch sie zu verbrennen!!!
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#3
Ja, die alten Treter brennen wirklich gut!
In Mossul habe sie die alten Schuhe aus den zerbombten Häusern geholt und heizen und kochen mit ihnen. Sogar Heels aus unsinnigen Kleiderspenden dienen als Brennmaterial.
Davon gibt es einige Bilder im Netz.
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#4
Danke für diese ungewöhnliche Geschichte!

Diese gezielte, bewusste Verwendung von Damenschuhen als Brennmaterial ist für mich das Reizvolle.
Die kommen nicht einfach so ins Feuer, damit sie "weg sind", weil man vielleicht zu bequem war, um bis zur Mülltonne zu laufen.
Nein, hier werden die süßen Teilchen extra herausgezerrt, um den allerletzten Wert aus ihnen herauszuquetschen -- ihren Brennwert.

Irgendwie denke ich bei sowas, dass trotz allen Pragmatismus, den der gute Mann an den Tag legt, ein bisschen Spaß auch dabei sein muss.
Mit Holz würde das sicher keine so "zelebrieren"  Grinning-face

Grüße, IvyMike.
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#5
Ja, das denke ich auch.
Nicht umsonst hat er die armen Stöckel Stiefelettchen so schön aufgereiht. Mich erregt der Gedanke, wie die Flammen in wenigen Minuten bei ihnen angelangt sind und sie zusammen im Feuer sterben müssen. Das empfindet der alte Mann vielleicht sogar ähnlich.
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#6
Hallo,
eine sehr eindrucksvolle Schilderung! Die konsequente Systematik, mit der der alte Mann vorgeht, zeugt von großer Erfahrung bei der Müllbeseitigung. Dass er nur mit Damenschuhen operiert, lässt wirklich den Schluss zu, dass er daran eine gewisse Freude verspürt.

Ich habe mir das Ganze einmal visualisiert:
Wenn in der Siedlung 500 Menschen leben, dann sind davon 250 weiblich. Wenn jede weibliche Bewohnerin im Jahr 3 Sommer- und 3 Winterschuhe benötigt und diese jeweils nach der Saison wegwirft, ergibt das ca. 1.500 Paar also 3.000 Einzelschuhe. Unterstellt, dass der Betreiber der Müllverbrennungsanlage jeweils 20 Schuhe für einen Anfeuerungsprozess benötigt, könnte er mit dem Jahresverbrauch an Damenschuhen nahezu jeden zweiten/dritten Tag so ein Feuer entfachen. Echt krass.

Viele Grüße
Mary
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#7
Hallo Mary!

Der alte Mann macht sich den sehr hohen Heizwert der Schuhe von immerhin etwa 22.500 Kj/KG (Steinkohle 29.000 Kj/KG) zu Nutze, indem er sie als Initial Brennstoff für den Restmüll der Siedlung nutzt, der lediglich einen Heizwert von etwa 7.500 Kj/KG aufweist und zudem auch feuchte, organische Substanz enthält.
Damenschuhe weisen für seine Verwendung besondere Vorteile auf. Sie sind, wie Du schon festgestellt hast, häufig im Restmüll vorhanden, bestehen aus einem leicht entzündbaren Stoffgemisch und weisen aufgrund Ihrer geringeren Größe (Siebfraktion) und ihrer oft filigranen und zarten Ausführung ein günstiges Oberfläche zu Volumen Verhältnis auf. Stapelt man die alten Pumps und Sandaletten, ergibt sich ein lockerer, von Hohlräumen durchsetzter Verbund, der durch die Form der Schuhe, der Absätze und der Riemchen entsteht, der von den Flammen leichter erschlossen werden kann und der dem Feuer den Zugang zum notwendigen Sauerstoff erleichtert.
Herrenschuhe hingegen sind aufgrund ihrer gröberen und kompakten Konstruktion schwerer entflammbar und sind gestapelt für die Flammen weniger gut durchdringbar. Ich vermute die sinnvollere Funktion der dauerhafter brennenden Herrenschuhe in der Beimischung zum Abfall in der Brennkammer. Es bestände somit keine Notwendigkeit sie auszusortieren und folgerichtig findet man sie auch nicht auf dem Foto.
Es bietet sich fast ein Vergleich zwischen leicht und schnell entflammbarem Reisig und kompakteren Feuerholz an.
Da die Damenschuhe zwar hell und mit großer Hitze, aber dafür nicht so dauerhaft verbrennen, muss der alte Mann immer wieder mal nachlegen, damit der "Brenner" seine Funktion über den gesamten Brennvorgang erfüllen kann.
Da wir auf dem Bild den Beginn des Brennvorgang sehen können, gehe ich davon aus, dass die verstreut liegenden Schuhe zum "Nachlegen" dienen werden.
Ich vermute, daß die Faktoren Abfallmenge, Anzahl der Schuhe im Abfall, Kapazität der "Brennkammer" und der Mulde für das "Brennerfeuer" (ich würde es nicht mehr "Anheizfeuer" nennen) ein wohl ausgewogenes System ergeben, dass sich vielleicht schon über Jahrzehnte so bewährt hat.
Vielleicht noch ein paar Hinweise zu dem Damenschuh Aufkommen im Müll der Roma Siedlung.
In Anbetracht der speziellen Vorliebe für zierliche und hochhackige Damenschuhe, die nicht nur die modebewusst und farbenfroh gekleideten Roma Frauen, sondern auch viele Frauen aus östlichen Ländern allgemein kennzeichnen, unterliegen die Schuhe zumeist einem hohen Verschleiß, der durch die oft schlecht oder gar nicht ausgebauten Wege bedingt ist und der zum schnellen Ableben von Absätzen und Sohlen führt.
Die oft billig eingekauften Pumps, Stiefel und Sandaletten werden dann nicht mehr repariert, sondern entsorgt. Der Nachschub an Brennmaterial dürfte dem alten Mann wohl kaum ausgehen.
Auf einem der Fotos ist eine Lackpantolette mit Keilabsatz und Ledersohle zu erkennen. Ihr Absatz wurde, gut erkennbar, mit einer kleinen Metallplatte beschlagen. Es handelt sich um einen Tanzschuh für die Aufführung traditioneller Roma Tänze, der eigentlich noch in einem guten Zustand ist und von dem wohl auch nicht mehr als ein Federgelenk und die zur Erzeugung der tanzspezifischen, laute "Klacks" Geräusche dienenden kleinen Metallplatte übrig bleiben werden.
Gerne hätte ich den Schuh oder sogar das Paar gerettet und es mit allen meinen Sinnen genossen ?
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#8
Hallo Stiletto,
welch tiefgehende Analyse eines eigentlich so banalen Vorgangs. Sehr beeindruckend.

Ein Aspekt beschäftigt mich noch bei der transylvanischen Schuhvernichtung. Da die weggeworfenen Schuhe sicher einige Tage unter freiem Himmel verbringen, bis sie aufgespürt, zusammengetragen und verbrannt werden, sind sie dort den Naturgewalten ausgesetzt. Bodenfeuchte und Regen nehmen sich ihrer an. Die Verbrennung dieser feuchten/nassen Schuhe stelle ich mir etwas schwierig vor. Nasse Schuhe brennen doch wohl nicht so ohne weiteres, oder? Hat der alte Mann eine Art Lager, mit dem er auf einen ausreichenden Vorrat zurückgreifen kann oder wie geht er mit diesem Umstand um?

Viele Grüße
Mary
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#9
Hallo Mary!
Danke für Deinen netten Zuspruch! Das Thema fasziniert mich einfach und das weckt den Naturwissenschaftler in mir.
Um eine fundierte Antwort auf Deine Frage zu finden, ist es erforderlich, ein wenig mehr in die Tiefe der Materie zu gehen.
Betrachten wir zunächst einmal die stoffliche Zusammensetzung der Damenschuhe. Ein nicht unerheblicher Teil moderner und erschwinglicher Stöckelschuhe besteht heutzutage vorwiegend aus sogenannten "Man Made Materials" und ist auch entsprechend gekennzeichnet. Zu diesen Materialien zählen u.a. Polyvinylchlorid (Sohlen, Obermaterial und Absatzflecken), Polyamid (Absätze), Polyethylen (Obermaterialien), alles zusammen petrochemische Polymere, die Wasser lediglich an der Oberfläche benetzen, aber nicht durchdringen kann. Diese Polymere weisen außerdem Heizwerte auf die deutlich jenseits der 30.000 Kj /KG liegen. Die Aktivierungsenergie zur Einleitung des exothermen Oxidationsprozess ist verhältnismäßig niedrig und die den Flammen exponierten Oberfläche der Schuhe ist zudem recht hoch. Zur Entzündung ist, trotz einer angenommenen Benetzung der Oberfläche mit Wasser, tatsächlich nur etwas trockener Reisig oder Papier erforderlich.
Ich vermute zudem, dass ein erheblicher Teil der Schuhe direkt aus dem Müll stammt und kurz vor der pyrolytischen Verwertung aussortiert wird. Im Restmüll von Berlin Mitte findet sich z. B. ein Anteil von 0,8% Altschuhe, was einem durchschnittlichen Heizwert von ca. 200 Kj /KG Restmüll entspricht. Diese Zahl beinhaltet nicht die vorher zur Altkleiderverwertung aussortierten Schuhe. Angenommen, dass in der Roma Siedlung kein Aussortieren von Altkleidung stattfindet, dürfte der Altschuh Anteil im Restmüll bis zu 2% entsprechen, was wiederum einem Heizwert von ca. 500 Kj/KG Restmüll entspricht. Das bedeutet dass die Energie des Schuh Anteils pro Kilogramm Restmüll ausreicht um einen Liter Wasser von 5°C sprudelnd zum Sieden zu bringen.
Wenn der alte Mann also ein überdachtes Damenschuh Lager angelegt hat, dann eher um sich an den Schühchen noch einmal zu erfreuen, bevor er sie verbrennt.
So zumindest würde ich es machen ?
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#10
Hallo Stiletto,

also, das mit den modernen Schuhen aus überwiegend synthetischem Material habe ich verstanden. Aber wie sieht die Sache mit Lederschuhen aus, die tagelang durchnässt wurden. Da dürfte sich dann der Entzündungszeitpunkt deutlich verzögern. Sehe ich das richtig?

Viele Grüße
Mary
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